Sohn des Emslandes: Seelsorger, Lehrer und Sozialarbeiter
Dr. Wilhelm Berning – Erzbischof von Osnabrück (1877-1955) – Volksbischof des Nordens in schwierigen Zeiten – von Thomas Friese, Berlin/Oldenburg
Volksfrömmigkeit und Verehrung für religiöse Führer waren früher im Norden Deutschlands wie überall bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts kulturprägend. Der Einfluss der Kirchen war groß. So fand auf dem einst kurfürstlichen Jagdschloss Clemenswerth in Sögel/ Emsland anlässlich des Feiertags Maria Himmelfahrt (15. August) jährlich ein großes Fest statt. Mehr als zehntausend Katholiken nahmen weite Wege auf sich, um ihren Bischof zu sehen. Aus allen Emsland-Orten, Ostfriesland, dem Oldenburger Land, dem Münsterland und aus Holland strömten sie dann zusammen. Dies war dann – Jahr um Jahr – auch die große Stunde für den gebürtigen Emsländer, Bischof Dr. Wilhelm Berning. Als selbstbewusster, großer und stattlicher Mann fühlte er sich inmitten des Volkes wohl. Atemlose Stille trat ein, wenn er seine Ansprache begann, stets mit der Anrede: „Meine lieben Emsländer!“ Von seinen, mit kraftvoller Stimme vorgetragenen Worten ging große Faszination aus, die Emsländer verstanden ihren Bischof und fühlten mit ihm.
Komplexe Fragen – politische Verstrickung – war er nun Gegner oder Freund der Nazis
Aber die Zeiten seines Bischofsamtes waren längst nicht immer so glanzvoll gewesen, wie man es in Clemenswerth hatte erleben können. Es war eine lange Zeit, mit zwei Weltkriegen und dem Gewaltregime unter Hitler von 1933 bis 1945. Ein Jahr vor seinem Tode (1954) konnte Wilhelm Berning sein 40-jähriges Bischofsjubiläum feiern. Die Kirchenzeitung des Bistums Osnabrück schrieb zu diesem Anlass: „Voll Dank gegen Gott feiert das Bistum Osnabrück den Jubeltag seines geliebten Oberhirten, der seit 40 Jahren die hohe Würde und schwere Bürde des bischöflichen Amtes trägt. Das Gebet aller Gläubigen erfleht dem hohen Jubilar Gottes reichsten Segen. Kein anderer Bischof in der langen Geschichte des Bistums Osnabrück konnte eine solch‘ lange Amtszeit aufweisen.“
Biografische Daten – Abriss über das Leben Dr. Wilhelm Berning
Dr. Wilhelm Berning wurde am 26. März 1877 in Lingen als Sohn des Tischlermeisters Bernhard Bering und seiner Frau Caroline, geb. Rosemeyer, geboren. Schon früh fühlte er sich zum Priester berufen. Seine Studienzeit verbrachte er in Münster und in Breslau, wo er zum Doktor der Theologie promovierte. Am 10. März 1900, kaum 23 Jahre alt, wurde er im Dom zu Osnabrück zum Priester geweiht. Berning erhielt im Jahre 1901 eine Stelle als Oberlehrer für das Fach Religion am Gymnasium in Meppen. Das beschauliche Leben als Religionslehrer endete mit einem Karriereschub. Der Bischof von Osnabrück, Dr. Hubertus Voss, war am 3. März 1914 gestorben. Das Domkapitel von Osnabrück einigte sich ungewöhnlich schnell auf die Berufung: Die Wahl fiel auf den Meppener Religionslehrer Dr. Wilhelm Berning. Am 29. September 1914 wird er im Hohen Dom zu Osnabrück zum Bischof von Osnabrück geweiht. Er war damals 37 Jahre alt und mithin der jüngste deutsche Bischof.
Probleme über Probleme – Abgrenzung Deutschtum oder Christ?
Der Beginn seines Bischofsamtes fiel in eine schwere Zeit. Die Kriegsmaschinerie lief auf vollen Touren. Der Erste Weltkrieg hatte begonnen. Im nationalen Begeisterungstaumel für diesen Krieg ließen sich sogar deutsche und französische Bischöfe dazu hinreißen, sich gegenseitig anzufeinden. Der junge Bischof Berning macht seine ersten bitteren Erfahrungen mit der Politik. Im Grunde ging es in dieser Zeit der Kirche um Abgrenzung: fühlt und arbeitet die Kirche im Nationalstaat mit und für die nationalen Interessen oder sieht sich der Kirchenführer den Ideen des Christentums verbunden. Christentum im Sinne der Menschenliebe mit dem Gebot, liebe jeden Menschen wie Dich selbst? Hundert Jahre später in einer entchristianisierten Welt spielen diese Fragen keine Rolle mehr. Niemand käme auf die Idee, eine Predigt ernst zu nehmen und gar die Waffen in einem bewaffneten Konflikt niederzulegen.
Das Bistum Osnabrück – norddeutsche Missionsgebiete
In seinem Bistum wurde er schwer gefordert, denn der größte Teil davon war Diaspora-Gebiet. Dort lebten die Katholiken in einer Minderheit gegenüber den evangelischen Christen. Zu den Kerngebieten des Bistums wie das Osnabrücker Land, das Emsland und Ostfriesland auch Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Von 1914 bis 1931 war er Leiter der norddeutschen Missionsgebiete (Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg) und ab 1931 dort auch Bischof vollen Rechtes. Weiterhin sollte er die katholische Kirche in den vorwiegend evangelischen Ländern Skandinaviens und auf Island unterstützen. Seit 1921 war er Präsident des St.-Raphael Vereins zum Schutz der deutschen katholischen Auswanderer.
In seiner Heimat, im Emsland, richtete der Bischof nach dem Ersten Weltkrieg die Emsländischen Katholikentage ein. Der erste Emsländische Katholikentag fand am 12. Juni 1921 in Meppen statt. Hier konnte Berning immer wieder mit Freude erleben, wie sich „sein Volk“ um ihn scharte. Jahr für Jahr nahm er auch regelmäßig an den bekannten Wallfahrten in Wietmarschen und in Clemenswerth teil. Er erlebte diese Wallfahrten als Demonstration für den katholischen Glauben in einer ländlichen Bevölkerung, wo die Welt noch in Ordnung schien.
In der Zeit der Weimarer Republik knüpfte Wilhelm Berning freundschaftliche Beziehungen mit dem päpstlichen Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, an. Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII., konsekrierte am 25. Juli 1929 die Christus König-Kirche im emsländischen Thuine. Anläßlich dieser Weihe hielt der gebürtige Römer Pacelli eine eindrucksvolle Rede in deutscher Sprache. Dabei sagte er über das Bistum Osnabrück unter anderem: „Das Bistum Osnabrück blickt auf eine mehr als tausendjährige und vor allem in der Neuzeit wechselvolle und schicksalsschwere Geschichte zurück. Es hat in den letzten Jahrhunderten ernste Gefahrenzonen überwinden müssen. Umso mehr freuen wir uns, dass es sich heute so lebensfroh wie nie mehr seit den Zeiten des Mittelalters zeigt.“
Es kommt noch schlimmer – der Bischof (als Gast) im Konzentrationslager Esterwegen
Die Gefahrenzonen, von denen der spätere Papst in Thuine gesprochen hatte, sollten aber erst noch kommen. Hitler und die NSDAP erhielten immer größeren Zulauf. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 verstärkte in Deutschland die ständig steigende Arbeitslosigkeit. Die Weimarer Republik war am Ende. Im Juli 1933 schloss der Vatikan mit dem Hitler-Regime ein Konkordat, woran Kardinalstaatssekretär Pacelli wesentlich mitgewirkt hatte. Im selben Monat, am 14. Juli 1933, ernannte der preußische Ministerpräsident Hermann Göring Bischof Berning zum Preußischen Staatsrat.
Bischof Berning hatte schon vorher das Gespräch mit Hitler selbst gesucht: In einer Besprechung im Auftrag des deutschen Episkopats am 26. April 1933 forderte er Freiheit für die Kirche, Freiheit für die katholischen Schulen und Freiheit und Unabhängigkeit für die katholischen Organisationen. Weiter ersuchte er die Zusicherung, dass katholische Beamte keine Benachteiligung wegen ihrer Tätigkeit in der Kirche und in der Zentrumspartei erfahren sollten. Hitler antwortete weitschweifig und warf dem Zentrum und der katholischen Kirche vor, mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten. Die folgenden Gespräche mit Hitler erfolgten unter zunehmender Verschärfung und Verhärtung.
Im kargen Emsland weit weg von den Regierungszentralen der Welt wurden Konzentrationslager eingerichtet. Das Neue Deutschland schreibt hierzu am 01.11.2011: „Vor 75 Jahren, im Juli 1936, hatte der katholische Bischof von Osnabrück, Hermann Wilhelm Bernings, auf Einladung des Kommandeurs, SS-Standartenführer Schäfer, den Lagern einen Besuch abgestattet. Die Kölnische Volkszeitung wusste am 4. Juli zu berichten, gegenüber den von ihm zu einem Glas Bier eingeladenen Wachmännern habe er seine große Befriedigung über die im Emsland durch das Dritte Reich geleistete Kulturarbeit ausgedrückt. „Zum Schluss seiner Ansprache brachte er ein dreifaches Sieg-Heil auf Führer und Vaterland aus.“
Auch hier wieder das ambivalente Verhältnis zwischen der Macht als Kirchenführer und der Treue zum Staat. Wie weit kann ein Bischof gehen? Wurde er missbraucht, falsch zitiert? Wusste er, dass in den Lagern Menschen gequält und getötet wurden? Das bleibt unklar.
Anlässlich der Männerwallfahrt im Jahre 1938 in Rulle sagte er: „Zu dem Weihepriestertum muss sich gesellen das Laien-Priestertum. Besonders in stürmischen Zeiten, wenn das Weihe-Priestertum in seiner Tätigkeit vielfach gehemmt und ausgeschaltet wird. Das Laien-Priestertum ist nichts Neues, es ist eine urchristliche Einrichtung. Ihr alle habt dieses Laien-Priestertum erhalten durch eure Taufe und eure Firmung. Wie segensreich kann dieses Laien-Priestertum wirken!“
Das kirchliche Leben wurde mehr und mehr eingeengt und behindert. Die katholische Presse, Vereine, Schule, Wallfahrten, Klöster, Caritas, Jugendseelsorge – überhaupt fast jede Organisation des kirchlichen Lebens wurde erschwert. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass der Kirchenführer in einer Predigt 1941 nachdrücklich gegen die Ermordung geistig und körperlicher Behinderter durch das Hitler-Regime predigte.
Die Zeit nach den Wirren des Krieges
Nach dem Kriegsende 1945 wurden die Dekanate Mecklenburgs unzugänglich. Berning hat dies besonders schmerzlich miterlebt. In sein Bistum kamen unzählige Flüchtlinge. Die Kriegsschäden zu heilen und den Flüchtlingen wenigstens eine religiöse Heimat zu geben, war eine große Aufgabe. Er schritt zur Tat. Von 1945 bis kurz vor seinem Tode wurden mit Hilfe des Bonifatius-Vereins 70 neue Gotteshäuser gebaut. Aus eigener Kraft konnten 32 neue Kirchen geschaffen und ungezählte wiederhergestellt werden. Auf 960 Außenstationen wurde regelmäßig Gottesdienst abgehalten. Die Anzahl der Seelen war nach 1945 zuerst auf rund eine Million angestiegen, ging dann aber durch die Umsiedlungen wieder auf 850 000 zurück.
Berning hat sein Bistum lange allein geleitet. Erst 1950 bekam er „Arbeitserleichterung“ durch die Ernennung eines Osnabrücker Weihbischofs.
Dr. theol. Wilhelm Berning, Bischof, Titularerzbischof, Päpstlicher Hausprälat und Thronassistent, Ehrenbürger von Lingen, Meppen und Osnabrück, ist am 23. November 1955 im einundvierzigsten Jahr seines Bischofsamtes in Osnabrück gestorben.
V.i.S.d.P.:
Thomas Friese
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Der Immobilienexperte und Projektentwickler Thomas Friese, Berlin/ Oldenburg (Niedersachsen) ist einer Ausbildung im steuerlichen Bereich seit Mitte der siebziger Jahre im Bereich Immobilienentwicklung und Vermarktung tätig.
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